Himmelsthür Dem Himmel so nah!
Dem Himmel so nah!

Gedenkrede von Pastorin Jacobs am Volkstrauertag 2024

Anlässlich des Volkstrauertages 2024 hielt Frau Pastorin Hanna Jacobs von der Diakonie Himmelsthür in Vertretung von Frau Pastorin Magnussen bei der Gedenkstunde am Himmelsthürer Ehrenmal die folgende Gedenkrede:

Liebe Menschen aus Himmelsthür!

Die meisten von uns, die wir hier stehen, haben den Krieg nicht selbst miterlebt. Weder den 1., noch den 2. Weltkrieg.
Die wenigsten von uns haben selber an Kriegshandlungen im Kosovo oder in Afghanistan teilgenommen.

Und trotzdem stehen wir hier und erinnern uns an die Millionen von Soldaten, die gefallen sind. Wir erinnern uns an das Leid der  Zivilbevölkerung. Und an das unsagbare Leid, das deutsche Soldaten anderen Menschen in In- und Ausland zugefügt haben.

Diese Kriege haben uns geprägt, sie hatten einen Einfluss darauf, wie wir aufgewachsen sind, auch wenn wir Jahrzehnte später geboren sind.

Der Vater oder Großvater, der nie vom Krieg erzählt hat, aber nachts schreiend aufwachte, weil die Bilder ihn nie losließen.
Die Oma, die ihr Pflichtjahr in der Rüstungsindustrie leisten musste, Granaten bauen.
Die Großtante, die aus Pommern fliehen musste und ihr Leben lang darunter gelitten hat, alles verloren zu haben.
Der Großvater, der in der Kriegsgefangenschaft fast verhungert wäre.
Die Tante, die erzählte, wie sie damals aus Löwenzahn Salat gemacht hat, weil es nichts gab.
Der Großonkel, der im Sommer bei heißem Wetter die Schrapnellsplitter immer besonders gespürt hat.
Die Mutter, die bis kurz vor ihrem Tod nicht darüber gesprochen hat, dass sie in den letzten Kriegstagen vergewaltigt wurde.
Die Großeltern, die immer sagten „das haben wir alles nicht gewusst“.
Der Vater, der nach dem Krieg geboren wurde, aber den Namen seines Onkel bekam, der in Stalingrad gefallen ist. 

Die Eltern, die als Kinder vor allem brav sein mussten, weil ihre Eltern so beschäftigt damit waren, den Krieg zu verdrängen, um irgendwie weiterleben zu können. 

Sehr viele, die heute 30, 40, 50 oder älter sind, sind mit Großeltern, Eltern, Verwandten, Lehrerinnen und Lehrern aufgewachsen, die den zweiten Weltkrieg erlebt haben. Auch, wenn man das Leid des Krieges nicht selbst erlebt hat, konnte man einen Eindruck davon gewinnen, wie furchtbar und menschenverachtend Krieg ist. 

So schrecklich, dass es darauf nur eine Antwort geben konnte, nämlich: Nie wieder!

Nie wieder anderen Menschen ihr Menschsein absprechen! Nie wieder so ein wahnsinniges Blutvergießen! Nie wieder „bis zum letzten Mann!“ Nie wieder Krieg. 

Und heute? Meine Großeltern, die alle den Krieg erlebt haben, sind inzwischen verstorben. Es gibt fast keine Zeitzeugen mehr, die in Schulen gehen, um von damals zu erzählen. Vom Krieg, von Konzentrationslagern, von zerbombten Häusern und Hungerwintern. 

Und deswegen ist es unsere Verantwortung, daran zu erinnern, was geschehen ist und was sich nie wiederholen darf. Es ist unsere Aufgabe zu mahnen, dass alle Menschen gleiche Würde besitzen, egal, welche Farbe ihre Haut hat, wen sie lieben, welche Sprache sie sprechen, egal, ob sie eine Behinderung haben oder nicht. Und wenn die einen völkische, rassistische Parolen rufen oder anonym ins Internet schreiben, dann ist es unsere Aufgabe zu widersprechen – das „NIE WIEDER!“ Muss von uns kommen, sonst sagt es keiner mehr.

Das schwere daran ist, dass sich die Zeiten geändert haben. Dass in Europa wieder Krieg herrscht und wir wieder dahin kommen müssen, uns verteidigen zu können. Dass es auf unserem Kontinent einen großen Krieg geben könnte, das schien lange nahezu unmöglich. Aber seit 1000 Tagen ist es Realität.

Und dadurch sind wir in Deutschland in der Situation, wo wir einerseits alles daran setzen müssen, dass sich die Gräuel und das Elend des 2. Weltkriegs NIE WIEDER wiederholen – und gleichzeitig nicht tatenlos zusehen können, wie Despoten friedlichen Menschen Gewalt antun und ihnen Kriege aufzwingen, die die nie wollten.

Und was hat Gott damit zu tun?

Als Christin glaube ich, dass Gott diese Welt und alle Menschen auf ihr liebt und dass er möchte, dass wir in Frieden miteinander leben. Unser Schicksal ist Gott nicht egal, er sitzt nicht teilnahmslos auf einer Wolke und guckt sich alles aus der Entfernung an. Das Leid von Menschen geht ihm zu Herzen. Deswegen ist es gut, sich an ihn zu wenden, und ihn um Vergebung und Frieden zu bitten. 

Gott der vielen Namen,

Du weißt, wie viele Menschen heute trauern um die Opfer von Gewalt und Krieg.

Du kennst alles Leid.

Hilf uns, aller Frauen, Männer und Kinder zu gedenken,

die im Zweiten Weltkrieg durch die Schuld unserer Vorfahren getötet wurden,

die in den Konzentrationslagern umgebracht wurden,

weil sie anders glaubten, dachten oder liebten.

Lass uns ihr Andenken nicht vergessen, lass sie geborgen sein in Deiner Liebe und schenke ihnen Deine höhere Gerechtigkeit.

Hilf uns, auch die Erinnerung an die Frauen und Männer zu bewahren, die den Mut hatten, außerhalb der Reihe zu stehen, Widerstand zu versuchen gegen Diktatur und Grausamkeit, die mutig gewarnt und ihr Leben gegeben haben.

Gib uns die Kraft, öffentlich und mit Zivilcourage gegen Unrecht und Lüge aufzutreten.
Niemals wollen wir aufgeben und denen, die hassen und hetzen, das Feld überlassen. 

Wir denken an die Opfer des Hamas-Pogroms in Israel, an die Geiseln und ihre Angehörigen,
lass sie Freiheit und Trost finden.

Wir bitten Dich um einen gerechten Frieden für alle Menschen im Nahen Osten, in der Ukraine,
in den vielen weniger beachteten Kriegsgebieten der Welt. 

Gib den Verantwortlichen die Einsicht, dass alle Menschen Deine geliebten Geschöpfe sind.

Und für uns bitten wir um Hoffnung! Und lass uns nicht gleichgültig oder mutlos auseinandergehen.

Denn wir sind nicht alleine, sondern verbunden.

Selig sind die, die Frieden stiften, denn Sie werden Kinder Gottes genannt werden.

Amen.

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